Mitte der 1970er Jahre wurde ein einzelnes Manuskript-Blatt mit 14 Rätselkanon Aufgaben zu den "Goldberg-Variationen" (BWV 988) gefunden. Dieses Blatt mit dem Titel "Verschiedene Canones über die ersteren acht Fundamental-Noten vorheriger Arie von J. S. Bach" wurde 1976 erstmals in der Neuen Bach-Ausgabe veröffentlicht. Die Versuche, aus dem Bach'schen Notenextrakt satztechnisch-logische und musikalisch-organische Grundlösungen abzuleiten, blieben jedoch unbefriedigend. Die nun vorliegende Partitur des Bach-Forschers Reinhard Böß hat einen Umfang von 2148 Takten und eine Spieldauer von etwa 70 Minuten. Sie enthält 268 Kanonlösungen samt einer Coda (= eine Canon-Ciacona mit 67 Grundlösungen in je 4 Satzmodi ), die von ausführlichen Kommentaren und Analysen begleitet werden. Auf die Ausarbeitungen der Vorgänger nimmt Böß Bezug und zeigt alle Unterschiede zur Neuen Bach-Ausgabe im Textteil des Bandes kritisch auf. Mit der vorliegenden Entschlüsselung dieses Opus posthumum ist ein durchaus eigenständiger Werkzyklus entstanden, der als Ergänzung zu den "Goldberg-Variationen" betrachtet werden kann. Böß eröffnet damit eine weitere Dimension der Ars Combinatoria von Bach. Er vervollständigt das Bild eines gleichermaßen fantasievollen wie gelehrten und humorvollen Komponisten, was sowohl Wissenschaftler als auch praktizierende Musiker zu einer Auseinandersetzung mit dem Werk anregen dürfte.
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